Der Traum vom europäischen Payment-Champion verzögert sich
Der Start des europäischen Bezahlsystems Wero im Online-Handel wird verschoben. Die Nachricht, dass die European Payments Initiative (EPI) ihren ambitionierten Rollout im E-Commerce von Ende 2025 auf das Jahr 2026 korrigieren muss, ist mehr als nur eine technische Fußnote: Sie ist ein deutlicher Dämpfer für die Hoffnungen auf eine schnelle digitale Souveränität Europas im Zahlungsverkehr. Wero, als direkter Herausforderer der US-Giganten PayPal, Visa und Mastercard konzipiert, steht vor der Mammutaufgabe, ein komplexes, grenzüberschreitendes System fehlerfrei zu etablieren. Doch gerade die kritische Hürde der Integration in die europäischen Bankenlandschaften erweist sich als zeitaufwändiger als geplant. In dieser exklusiven Analyse beleuchten wir die Hintergründe der Verzögerung, was diese für Händler und Verbraucher bedeutet und welche immensen Herausforderungen das europäische Vorzeigeprojekt noch meistern muss, um nicht zur nächsten gescheiterten Initiative in der Geschichte des europäischen Payments zu werden.
Die kalte Dusche – Warum der E-Commerce-Launch erst 2026 kommt
Die European Payments Initiative (EPI), ein Konsortium aus über 16 führenden europäischen Banken und Finanzdienstleistern, hatte große Pläne für das Jahr 2025. Nach dem erfolgreichen und vielbeachteten Start der Peer-to-Peer (P2P)-Funktionalität, die es Nutzern in Deutschland, Frankreich und Belgien ermöglicht, in Echtzeit Geld per Handynummer zu senden, sollte der nächste, strategisch entscheidende Schritt folgen: die Einführung von Wero als Zahlungsmittel in Online-Shops.
Die Verschiebung auf 2026, die zuerst durch Berichte in belgischen Medien bekannt wurde, fußt offiziell auf der Notwendigkeit, „die Qualität der Lösung sicherzustellen und sämtliche Tests mit allen Beteiligten abzuschließen“. Die Organisation betont, dass die E-Commerce-Funktion zwar technisch vorbereitet sei, jedoch die letzten Integrationen bei einigen Partnerbanken noch ausstünden.
Dies ist der kritische Punkt. Wero unterscheidet sich von traditionellen Zahlungsanbietern dadurch, dass es als Account-to-Account-Lösung direkt auf dem Girokonto der Nutzer basiert und die Technologie der Echtzeitüberweisung (Instant Payments) nutzt. Diese tiefe Integration in die Kernbankensysteme der Hunderten von teilnehmenden Banken und Sparkassen in Europa ist technisch extrem anspruchsvoll. Ein reibungsloser Ablauf über Landesgrenzen hinweg und die fehlerfreie Anbindung aller Kundenkonten – von der Autorisierung bis zur sofortigen Gutschrift – erfordern eine Testphase, die offenbar länger dauert, als es die optimistischen Zeitpläne zunächst vorsahen. Die EPI möchte keinen holprigen Start riskieren, der das Vertrauen von Händlern und Verbrauchern in den entscheidenden ersten Monaten nachhaltig beschädigen könnte.
Die Verschiebung verdeutlicht die Komplexität, die entsteht, wenn man versucht, fragmentierte nationale Bankenlandschaften unter einem einzigen, kohärenten, europäischen Dach zu vereinen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, aber in diesem spezifischen Fall scheint die Devise „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ die einzig verantwortungsvolle Entscheidung zu sein, selbst wenn sie kurzfristig Enttäuschung hervorruft.
Die Mission EPI – Wero als geopolitisches Projekt
Um die Bedeutung dieser Verzögerung vollständig zu erfassen, muss man sich die grundlegende Mission der European Payments Initiative vor Augen führen. EPI ist nicht einfach ein weiteres Fintech-Start-up; es ist ein geopolitisches Projekt, das von der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) stark unterstützt wird.
Die Abhängigkeit vom US-Oligopol: Der europäische Zahlungsverkehr wird seit Jahrzehnten von nicht-europäischen Akteuren dominiert:
- Karteninfrastruktur: Visa und Mastercard kontrollieren den Großteil der Transaktionen an der Ladenkasse und im Online-Handel.
- E-Commerce: PayPal ist in weiten Teilen Europas de facto der Marktführer und ein Synonym für schnelles, bequemes Online-Bezahlen.
Diese Abhängigkeit bedeutet nicht nur, dass Milliarden von Euro an Gebühren aus Europa abfließen. Viel wichtiger ist, dass Europa im Falle internationaler Konflikte oder Sanktionen anfällig ist. Eine eigene, von europäischen Regeln und Rechtsprechung kontrollierte Zahlungsinfrastruktur ist somit ein wesentlicher Pfeiler der digitalen Souveränität.
Wero, der Name und die Technik: Der Name „Wero“ – eine Kombination aus „we“ (wir), „Euro“ und „vero“ (echt/wahr) – unterstreicht den europäischen Anspruch. Technologisch setzt Wero auf die bereits etablierten Instant Payments (Echtzeitüberweisungen), die in der SEPA-Zone (Single Euro Payments Area) theoretisch rund um die Uhr funktionieren.
Dieses Fundament ermöglicht zwei entscheidende Vorteile:
- Geschwindigkeit: Zahlungen werden in unter 10 Sekunden von Konto zu Konto transferiert, was der Schnelligkeit von Bargeld oder gängigen E-Wallets nahekommt.
- Kosten für Händler: Da Wero die teure Infrastruktur der Kartennetzwerke umgeht und direkt auf dem Bankkonto ansetzt, können die Transaktionsgebühren für Händler drastisch gesenkt werden. Es wird von Einsparungen zwischen 75 % und 80 % im Vergleich zu Kreditkarten und anderen Anbietern gesprochen. Einzelne Banken nennen Disagio-Sätze von nur 0,65 % ohne zusätzliche Fixgebühren. Das ist ein potenzieller Game Changer für den Einzelhandel.
Der fehlende Netzwerkeffekt – Händlerakzeptanz als Schlüssel
Der Erfolg eines jeden Zahlungsdienstes hängt am Netzwerkeffekt: Je mehr Händler den Dienst akzeptieren und je mehr Verbraucher ihn nutzen, desto wertvoller wird er für alle Beteiligten. Im P2P-Bereich konnte Wero bereits Erfolge verzeichnen, da die Funktion über die Banking-Apps der Hausbanken automatisch verfügbar ist.
Im E-Commerce ist die Situation jedoch eine andere. Hier muss Wero direkt mit dem Komfort von PayPal konkurrieren, das den Vorteil hat, dass fast jeder Online-Shopper in Europa bereits ein Konto besitzt und es mit einem Klick nutzen kann. Um einen ernsthaften Wechselanreiz zu schaffen, sind zwei Dinge notwendig:
- Breite Verfügbarkeit: Wero muss bei den größten und relevantesten Online-Shops als Option erscheinen.
- Mehrwert für Kunden: Neben der Sicherheit durch die Hausbank (keine Drittanbieter-Konten nötig) braucht es weitere Anreize.
Genau hier liegt eine zweite potentielle Ursache für die Verzögerung. Während in den Medien von geführten Gesprächen mit namhaften Handelsunternehmen wie MediaMarkt, Otto oder Rossmann die Rede ist, sind offizielle, flächendeckende Kooperationen und sichtbare Shop-Integrationen bislang Mangelware. Die bloße technische Bereitschaft des Systems reicht nicht aus, wenn es an der marktseitigen Durchdringung fehlt.
Einige Analysten vermuten, dass die EPI die Verzögerung nutzt, um die Zeit bis 2026 zu füllen, indem sie nicht nur die technische Plattform, sondern auch ein ausreichend großes Netz an First-Mover-Händlern aufbaut. Für den Handel ist das niedrige Disagio-Modell von Wero ein starkes Argument, das aber erst dann zum Tragen kommt, wenn genügend Kunden mit Wero bezahlen wollen.
Die Konkurrenz schläft nicht – Wero vs. Digitaler Euro
Die EPI agiert in einem sich schnell wandelnden Umfeld. Der Wettbewerb ist intensiv:
- Etablierte Dienste: PayPal, Apple Pay, Google Pay und die klassischen Kreditkarten bleiben omnipräsent.
- Der Digitale Euro: Parallel zu Wero arbeitet die EZB am Projekt des Digitalen Euro. Auch wenn dieser noch Jahre entfernt ist (eine Einführung wird frühestens für 2029 erwartet), schafft die Diskussion um zwei konkurrierende europäische Projekte (das eine von Geschäftsbanken, das andere von der Zentralbank) eine gewisse Unruhe.
Die EPI hat den Vorteil, dass Wero bereits jetzt als Account-to-Account-Lösung im Markt ist und auf bestehenden Konten der Banken aufbaut. Es ist ein privatwirtschaftlich getragenes Projekt, das darauf abzielt, durch Schnelligkeit und geringe Kosten zu überzeugen.
Die Zeit drängt, denn neue, lokale Zahlungslösungen wie die Sofortüberweisung (die in vielen Shopsystemen bereits implementiert ist) decken einen Teil des Bedarfs ab, den Wero besetzen will. Zudem mehren sich kritische Stimmen, die nach gescheiterten nationalen Initiativen (wie „Kwitt“ oder „Giropay Geld senden“) die langfristige Überlebensfähigkeit von Wero in Frage stellen, falls der Durchbruch im E-Commerce weiter auf sich warten lässt.
Der Ausblick – Die Wero-Roadmap für 2026 und darüber hinaus
Trotz des verschobenen Starttermins ist die Roadmap der EPI ambitioniert und zeigt, dass das Projekt langfristig gedacht ist. 2026 soll nicht nur der E-Commerce-Launch erfolgen. Geplant ist zudem:
- POS-Zahlungen: Die Ausweitung auf den stationären Handel, bei dem Kunden per QR-Code oder NFC an der Ladenkasse bezahlen können. Dies würde Wero zu einer umfassenden Lösung machen.
- Geografische Expansion: Die Ausweitung auf weitere Schlüsselmärkte, insbesondere Luxemburg und die Niederlande. Hier soll die Integration des dortigen Marktführers iDEAL in das Wero-Ökosystem erfolgen, was die Reichweite in einem Schlag massiv erhöhen würde.
Langfristig sollen auch komplexere Funktionen wie Abo-Modelle, Kundenbindungsprogramme und nutzungsbasierte Abrechnungen integriert werden.
Die Verzögerung ist somit ein Weckruf: Das europäische Zahlungssystem ist ein Marathon, kein Sprint. Der technische Unterbau ist fast fertig, aber die politische und marktseitige Abstimmung sowie die fehlerfreie Implementierung sind die entscheidenden Hürden.
Fazit: Wero hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Europäer bezahlen, grundlegend zu verändern und eine echte Alternative zu den US-Platzhirschen zu schaffen. Die Verschiebung auf 2026 ist schmerzhaft, aber möglicherweise notwendig, um die technische Stabilität zu gewährleisten. Nun liegt es an der EPI, die verlorene Zeit durch eine aggressive Ansprache großer Händler wettzumachen und 2026 mit einem Knall zu starten, anstatt mit einem leisen Wimmern. Nur dann kann der Traum von der digitalen Souveränität im Zahlungsverkehr Wirklichkeit werden.
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